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Computerspiele standen „Abends in der Bibliothek...“im Mittelpunkt
Ein „Techtelmechtel“ hat Petra Weiß ihr Unwohlsein beschert. Kein Weltuntergang, und durchaus in den Griff zu kriegen - wenn man sich kümmert. Das braucht Zeit. Da kann manche Stunde vergehen, wie Medienpädagogin Sabine Schattenfroh den etwa 50 Zuhörern erläutert.
Etwa eine Stunde spielen Schülerinnen der 7.-9. Klassen laut einer Untersuchung des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen täglich am Computer. Männliche Schüler durchstreifen im Schnitt immerhin schon 2,5 Stunden virtuelle Welten, jagen Terroristen, bauen sich ein Imperium auf. Da geht’s hart zur Sache, wie Thomas Johannesmeyer, ebenfalls Gymnasiast, am Beispiel „Counterstrike“ erläutert. Es gilt, Pistolen, Sturmgewehr und Granaten einzukaufen und dann mit den Polizistenkollegen zu verhindern, dass die Terroristen die Bombe legen. Das geht nur, wenn man die „Bösen“ erschießt. In der amerikanischen Version spritzt dann rotes Blut, der Gegner liegt flach am Boden. In der deutschen Fassung ist das Blut grün, der Getroffene sitzt mit hinter dem Kopf verschränkten Armen in der Ecke. „Spieltechnisch schlecht“, erläutert Thomas Johannesmeyer, „da weiß man ja gar nicht, ob er noch im Spiel ist.“ Rotes Blut hat einen klaren spielerischen Vorteil. Die amerikanische Version muss also in aller Regel her, und die gibt’s im Netz – wie so vieles, das verboten ist, und gerade dadurch erst seinen eigenen Reiz bekommt.
Was verboten wird, entscheidet in Deutschland die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM). 1954 waren das zum Beispiel die ersten „Tarzan“-Heftchen. Dann gibt es auch noch die USK, die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle. Ein effektives System, das außerhalb Deutschlands seinesgleichen sucht, wie Sabine Schattenfroh betont. „Schauen Sie auf das Freigabealter für die Spiele, das ist eine gute Orientierungshilfe. Informieren Sie sich, was Ihre Kinder am Computer spielen, schränken Sie, wenn nötig, die Zeit ein, die sie am Computer verbringen dürfen“, rät sie ihren Zuhörern. Und sie rät zur Gelassenheit. „Ego-Shooter“-Spiele wie Counterstrike führten keineswegs auf direktem Weg zum Amoklauf in der Schule. „So einfach sind die Zusammenhänge nicht, aber die Spiele eignen sich als medienwirksamer Sündenbock“, ist die Medienpädagogin überzeugt. Hinter jedem Amoklauf stecke eine komplexe Geschichte, in der Computerspiele allenfalls ein winziger Baustein seien. Welchen Stellenwert sie im Leben eines Jugendlichen einnehmen können, davon erzählen die eingeladenen Experten des Abends, Christina Huppertz, Lars Kiefert, Nick Wolff, Thomas Johannesmeyer und Mirko Vogelsmeier.
Sie alle haben einiges an Lebenszeit in die Computerspiele investiert. Mirko Vogelsmeier beispielsweise, der es in der Fantasiewelt „World of Warcraft“ zum starken Krieger mit riesigen Waffen gebracht hat. Level 70. „Um dahin zu kommen brauch man ungefähr 30 Tage á 24 Stunden. Ich habe eine Zeitlang täglich 3 bis 4 Stunden gespielt – statt Fernsehen“, erzählt er auf Nachfrage. In der Diskussion finden sich die fünf Jugendlichen schnell in einer ungewohnten Rolle wieder: Sie sollen erklären, wie sie, hineinversetzt in ihre Eltern, mit dem Spieltrieb der Kinder umgegangen wären. Kommunikation sei wichtig, und die Eltern sollten zugucken, darin sind sie sich einig. Verbote seien nicht immer hilfreich, die könne man umgehen, meinen sie. Das wirkliche Leben hat sie aber alle irgendwann wieder eingeholt. Probleme in der Schule, ein neuer Freund – das war dann doch wichtiger als das Leben in den Tiefen der virtuellen Welt.
Aber Medienpädagogin Schattenfroh warnt: „Es gibt Leute, die haben ein Suchtproblem. Statt Schokolade oder Alkohol können das auch Computerspiele sein. Die Eltern müssen sich kümmern, da darf es keine Berührungsängste geben. Der Umgang mit dem Computer ist eine Kulturtechnik, die erlernt werden muss.“ Viele Untersuchungen bescheinigten, dass man dabei Problemlösungskompetenz, Reaktionsschnelligkeit oder Teamfähigkeit lernen könne. Fähigkeiten, die viele Ältere am Computer nicht entwickeln. Landesschulpfarrer Tobias Treseler, Moderator des Abends: „Ich selbst spiele nicht am Computer. Als ich es mal versucht habe, habe ich drei Stunden gebraucht, um die Spielfigur richtig steuern zu können. Das ist mir einfach zu aufwendig, und dafür ist mir dann auch die Zeit zu schade. Aber ich habe heute eine Menge darüber erfahren, was hinter den Spielen steckt“.
09.03.2007