Die Schere zwischen Arm und Reich
Landessuperintendent Dr. Martin Dutzmann und Pfarrerin Stefanie Rieke-Kochsiek besuchten Partnerkirche in Südafrika
Die Lebensumstände seien vor allem von starken Gegensätzen geprägt. So gebe es in Pretoria und Johannesburg einerseits die sogenannten Black Settlements, Ansammlungen von Wellblechhütten von armen Südafrikanern und illegalen Einwanderern, andererseits aber auch sehr wohlhabende und aufblühende Stadtteile. Stefanie Rieke-Kochsiek: „Es war sehr deutlich, wie stark die Erste und Dritte Welt hier beieinanderliegt und die Schere von Arm und Reich auseinandergeht. Es gibt derzeit kaum ein Land auf der Welt, in dem diese Gegensätze so nah und sichtbar aufeinanderprallen.“
13 Jahre nach dem offiziellen Ende der Apartheid befindet sich das Land in einer nahezu verzweifelten Situation, das war der Eindruck, den Dr. Martin Dutzmann hatte. „Man kann sich leicht vorstellen, was für ein gesellschaftlicher Sprengstoff darin liegt.“
Stefanie Rieke-Kochsiek berichtet von Menschen, die die Entwicklung seit der Wende in Südafrika positiv und engagiert begleitet haben und jetzt „nicht wissen, ob es nicht zum Kollaps kommt und wie lang die Armen es sich gefallen lassen, diesen deutlichen Gegensatz vor Augen zu haben.“ Natürlich habe die Regierung einiges getan, unter anderem mit sozialem Wohnungsbau oder auch dem Versuch, mehr Strom- und Wasserversorgung in die Townships, in denen die Schwarzen wohnen, zu bringen. Doch der Nachholbedarf sei enorm. Rieke-Kochsiek: „Das berichten uns Menschen aus unserer Partnerkirche. Demnach ist ein Problem, dass die Apartheidsregierung die Infrastruktur immer nur für die weiße Bevölkerung, also für fünf Millionen Menschen, geplant hat. Und es sind eben 55 Millionen und das kann nicht klappen.“ So komme es zurzeit im Raum Johannesburg/Pretoria ständig zu Stromausfällen, „weil das Netz total überlastet ist.“
Dr. Dutzmann sieht Parallelen zur Vereinigung Deutschlands: „Wir, in einem reichen Industrieland, sind nach 17 Jahren immer noch mitten im Vereinigungsprozess und haben das Gefälle zwischen Ost und West noch lange nicht überwunden. Da kann man sich vorstellen, angesichts der viel schärferen Unterschiede in der Vergangenheit Südafrikas, wie lange es dauern wird, bis die Gesellschaft diesen Riss geheilt haben wird, wenn sie es überhaupt schafft.“
85 Prozent des Landes sind noch in den Händen der Weißen. Die Mehrheit der Menschen in den Townships und damit auch in der Partnerkirche der Lippischen Landeskirche lebt in armen und begrenzten Lebensverhältnissen und ist schwarz oder farbig. Weitere Probleme, die die Armut in Südafrika verschärfen, sind HIV/Aids und auch die Entwicklung der Nachbarländer. Südafrika sah sich aufgrund der eigenen Vergangenheit in der Pflicht, Flüchtlinge aus Nachbarländern aufzunehmen.
Die Situation der Menschen in der Uniting Reformed Church in Southern Africa ist von all diesen Problemen geprägt. Zudem ist die weiße reformierte Kirche nach wie vor nicht bereit, sich mit den schwarzen und farbigen Mitchristen wieder zu vereinigen, berichtet Dr. Martin Dutzmann. Während der Apartheid ist die reformierte Kirche nach Rassen aufgeteilt worden, die farbige und die schwarze haben inzwischen wieder zusammen gefunden – in der URCSA: „ Der Vereinigungsprozess mit der weißen Kirche stockt und das ist beschwerlich, da es in der übrigen Gesellschaft erkennbar Veränderungen gibt, was neugewonnenes Miteinander angeht. Ausgerechnet in der reformierten Kirche gelingt das nicht.“
Die Lippische Landeskirche pflegt die Partnerschaft bewusst nur mit der URCSA und führt auch nur mit deren Kirchenleitung Gespräche. Seit 1998 gibt es einen offiziellen Partnerschaftsvertrag. Das Miteinander wird von Dr. Martin Dutzmann und Stefanie Rieke-Kochsiek als positiv empfunden: „Ein sehr lebendiges Netzwerk“.
Es gibt gegenseitige Besuche, die reformierten Gemeinden in Spork-Wendlinghausen und Heiden unterhalten Partnerschaften mit den Kirchengemeinden Orlando und Alexandra in Südafrika, es gibt persönliche Freundschaften. Darüberhinaus treffen sich regelmäßig alle europäischen Partner der URCSA.
Die Südafrikaner schätzen die Freundschaft der Lippischen Landeskirche hoch ein, berichtet Pfarrerin Rieke-Kochsiek. Denn nach der Wende habe sich die Weltöffentlichkeit teilweise wieder aus Südafrika zurückgezogen und gesagt: ihr schafft den Wandel und nun geht euern Weg. „Die Menschen in der URCSA sagen uns: Ihr habt das nicht getan, wir haben weiter den Kontakt mit euch und ihr seid in allen Schwierigkeiten an unserer Seite.“
02.04.2008