Beteiligung an der Aufarbeitung
Mitwirkungsmöglichkeit von Betroffenen
Wir verstehen Betroffene von sexualisierter Gewalt in der Kirche als Expertinnen und Experten. Durch die schwerwiegenden Erfahrungen, die Betroffene in unserer Kirche erlitten haben, bringen sie einen verschärften Blick mit für Strategien von Täterinnen und Tätern sowie tatbegünstigende Strukturen.
Was ihnen in ihrer Notsituation geholfen hätte, gibt wichtige Impulse für die Präventionsarbeit der Lippischen Landeskirche.
Auch im noch jungen Themenfeld der Aufarbeitung ist die Perspektive Betroffener bereichernd. Sie hilft, ein betroffenenorientiertes Verständnis von Aufarbeitung zu entwickeln. Derzeit werden in der Stabsstelle in Zusammenarbeit mit Betroffenen zum Beispiel Verfahrensanleitungen entwickelt. Diese sollen Kirchengemeinden, in denen es zu Vorkommnissen sexualisierter Gewalt gekommen ist, bei der Aufarbeitung unterstützen. Ebenso werden Informationsveranstaltungen und Formate für eine Erinnerungskultur erarbeitet.
Es ist unglaublich mutig, dass Menschen, die in der Kirche Schlimmes erlebt haben, heute dort mitwirken für den Schutz von Kindern und Jugendlichen. Ohne ihre Expertise würde Entscheidendes fehlen.
Wer als betroffene Person Interesse hat, die Prävention und Aufarbeitung der Lippischen Landeskirche mitzugestalten, kann sich gerne mit der Stabsstelle in Verbindung setzen (Kontakt). Wir würden uns sehr freuen!
Zum Thema sexualisierte Gewalt innerhalb der Lippischen Landeskirche hier persönliche Beiträge von zwei betroffenen Personen:
Zitat 1
Nur ging es so nicht weiter!
Jeder Artikel über die Missbrauchsgeschichten in der katholischen Kirche bewirkten in mir Wut auf die evangelische Kirche, die jahrelang genauso gehandelt hatte. Sie nahmen sich da nichts - keine Glaubensrichtung war da besser.
Mir wurde sehr Mut gemacht und als ich mich psychisch stabil genug fühlte, habe ich den Schritt in die Öffentlichkeit gewagt.
Meine persönliche Schwierigkeit damit war auch, dass ich weiterhin im Kreis Lippe wohne und viele hauptamtlich Tätige in Kirchengemeinden kenne oder mindestens als Kind oder Jugendliche bekannt bin bzw. war.
Somit stellt die Öffentlichkeit auch gleichzeitig eine potentielle Gefahr dar.
Was ich bisher allerdings erlebt habe in den Teams, mit denen ich bislang zu tun hatte, ist großes Verständnis, ein Gehört werden, ein Interesse an Änderung.
Denn soweit ist es klar: es muss sich was ändern bei 'Kirchens'.
Über Fehlverhalten welcher Art auch immer darf Wegschauen und 'unter den Teppich kehren' keine Option mehr sein.
Aus diesem Grund habe ich mich auch sowohl bei der externen Aufarbeitung als auch nun im internen Aufarbeitungsgremium aufstellen lassen.
Aufarbeitung soll dazu dienen, dass wir in Kirche einen respektvollen Umgang miteinander kultivieren, dass Kirche ein tatsächlicher Schutzraum darstellt und nicht geprägt wird von Macht-/ und anderem Missbrauch.
Machtsensibilität ist hier gefragt.
Schließlich geht es in der Kirche darum, Menschen einen Glauben an einen dreieinigen Schöpfer- Gott nahe zu bringen und persönliche Grenzen einzuhalten.
Das ist unser Ziel, hier unterstützend mitzuwirken.
Als Team wachsen wir gerade zusammen und mein Wunsch ist, dass sich durch unsere Arbeit auch noch Betroffene sexualisierter Gewalt trauen dies zu melden und sich Hilfe holen.
Die Welt ist voll von traumatisierten Menschen, die ihren Ausweg dann unter anderem in Betäubung oder Hass suchen.
Lassen Sie uns gemeinsam auf den Weg machen als Kirche, die wirklich ihre christlichen Werte lebt."
Zitat 2
Ich war weit weg und glaubte, weit genug von dem Ort und der Vergangenheit entfernt zu sein. Fragen kamen mir in den Sinn: Hatte ich genug aufgearbeitet und über die Vergangenheit reflektiert, um ihr ins Auge sehen zu können? Hat sich die Gesellschaft in Deutschland verändert? War es sicher, sich zu äußern und Veränderungen von Menschen zu erwarten, die in einer Institution arbeiteten, die eine Geschichte von Hierarchie und versteckten Machtstrukturen hatte? Sollte ich den Weg zurück nach Hause nehmen, dorthin, wo die Dinge geschehen waren, die ich hinter mir lassen wollte?
Ja, vieles hat sich in den letzten zehn Jahren verändert, und die Menschen haben sich verändert. Ich erfuhr, dass es auch andere Betroffene von Missbrauch in der Lippischen Landeskirche gab, und es tat gut zu wissen, dass ich nicht allein war.
... Ich beschloss, mutig zu sein, ehrlich mit mir selbst und anderen und mitfühlend mit denen, die es besser hätten wissen müssen, aber es nicht wussten. Geheimhaltung führt nicht zu Wahrheit und Gerechtigkeit, sondern unterstützt diejenigen, die jungen Menschen Schlimmes antun.
Meine Erfahrungen seit meinem Kontakt mit der Beratungsstelle waren sehr positiv. Ich erfuhr emotionale Unterstützung, Ermutigung, Verständnis und Hoffnung. Ich fühlte mich sicher und wurde von der Therapeutin, die mich interviewte, ernst genommen. Ich habe Menschen kennengelernt, die nichts mit meiner Geschichte zu tun hatten, die aber gezeigt haben, dass ihnen etwas daran liegt – nicht nur an dem, was mir widerfahren ist, sondern auch daran, wie wir die Kirche zu einem besseren Ort für alle, insbesondere für junge Menschen, machen können. Ich habe mich von jemandem, der sich versteckt hielt und die Wahrheit nicht aussprechen wollte, zu jemandem entwickelt, der nun Betroffene und Expertin ist. Das sind Positionen mit Handlungsfähigkeit und Aussagekraft, die mir angeboten wurden und die ich nun für mich dankbar in Anspruch nehme.
Ich hoffe, dass sich mehr Menschen, die in der Lippischen Landeskirche Missbrauch erlebt haben, melden und die gleiche Fürsorge, Schutz und Unterstützung erfahren wie ich. Ich habe mich entschieden, Teil des Internen Aufarbeitungsteams zu sein, weil ich weiß, dass ich mit meiner „Expertise“ dazu beitragen kann, die Lippische Landeskirche zu einem sicheren Ort für junge Menschen und zu einem sicheren Ort zu machen, an dem offene Gespräche über Geschichten stattfinden können, die jahrzehntelang zum Schweigen gebracht wurden."
