Thema Hexenprozesse: mit Dr. Bärbel Sunderbrink und Dr. Nicolas Rügge.

Diffamierung und Verfolgung

Dr. Nicolas Rügge gab einen Blick in die Lebenswelt zur Zeit der Hexenprozesse

Detmold. Über die Detmolder Hexenprozesse sprach Dr. Nicolas Rügge, Leiter der Abteilung Hannover des Niedersächsischen Landesarchivs, im voll besetzten Saal des Archivs in der Willi-Hofmann-Straße. Mehr als 30 Menschen hatten in der Stadt Detmold zwischen 1583 und 1676 unter der Hexenverfolgung gelitten, mehr als 20 in den umliegenden Landgemeinden. Rügge beschäftigt sich vor allem mit den persönlichen Beziehungen innerhalb der Stadt- und Dorfgemeinden und der einzelnen Familien. „Wir müssen schauen, welche Lebenswelt sie damals geteilt haben, sonst können wir diese schwer begreiflichen Geschehen überhaupt nicht verstehen.“ Die Ressourcen waren knapp, die Sicherheiten, die wir heute haben, gab es nicht – entsprechend war die Unterstützung der Gruppe notwendig. Umgekehrt konnte dies aber auch zu aktiver Ausgrenzung führen.

Große Unterschiede habe es vor und nach dem Dreißigjährigen Krieg gegeben.

In der Zeit vorher ging es um Einzelfälle. Ganz anders sei es dann ab 1653 gewesen: „Hexen wurden nun als verbrecherische Sekten betrachtet, die sich vom Christentum abgewendet und mit dem Teufel verschworen hatten – daher mussten sie als Kollektiv ausgegrenzt werden.“ Man sprach von einem „Teufelsbund“.

Nicolas Rügge stellte zwei Fälle ausführlicher vor: In Mosebeck war der Schneidersfrau Anna Tegeler 1658 vorgeworfen worden, dass sie sich an den Hexentänzen in Lemgo beteilige. Später hieß es, sie habe ein Pferd bezaubert und die missgestalteten Innereien einer vergifteten Kuh an sich genommen. Sie wurde im Hornschen Tor in der Detmolder Stadtmauer inhaftiert und nach einem Fluchtversuch hingerichtet. Ein weiterer Fall trug sich in Heidenoldendorf zu, wo Elisabeth Hasemann von ihrem Nachbarn Simon Stölting, einem Halbbruder von Anna Tegeler, bezichtigt wurde, bei seiner Frau durch Hexerei eine unerklärliche Erkrankung ausgelöst zu haben. Der Fall kam vor Gericht, und ein hinzugezogenes Gutachten der Universität Rinteln empfahl den „gemäßigten“ Einsatz von Folter. Nach der damals üblichen „Wasserprobe“ wurden Hasemann die Folterinstrumente (Beinschraube) gezeigt, woraufhin sie alles gestand, was man von ihr hören wollte: Einen Bund mit dem Teufel, Hexentanz und Schadenzauber an der Nachbarin. Dieser Fall zeige exemplarisch den „großen Vernichtungswillen“ der Obrigkeit: „Es war ab 1653 eine übliche Praxis, so lange gnadenlos zu foltern, bis man die Aussagen hatte, die man für die Verurteilung brauchte.“ Am 17. Mai 1662 wurde Hasemann verurteilt und wahrscheinlich noch am selben Tag auf der Jerxer Heide enthauptet und verbrannt.

Zu „Prozesswellen“, wie sie andernorts beobachtet wurden, habe dies in den Detmolder Landgemeinden aber nicht geführt, und ab den 1660er Jahren sei es im Gegensatz zu Lemgo auch zu einem Rückgang gekommen.

Veranstaltet wurde der Abend von dem Arbeitskreis Hexenverfolgung im Lippischen Heimatbund in Kooperation mit der Evangelischen Erwachsenenbildung der Lippischen Landeskirche, dem Naturwissenschaftlichen und Historischen Verein für das Land Lippe und dem Stadtarchiv Detmold. „Es ist wichtig, dass Nicolas Rügge sich dem Thema der Hexenverfolgung anhand sozialgeschichtlicher Fragen nähert“, betonte Dr. Bärbel Sunderbrink, Leiterin des Stadtarchivs. Pfarrer i.R. Martin Hankemeier vom Arbeitskreis Hexenverfolgung fügte hinzu: „Wir müssen diese schreckliche Zeit der Hexenverfolgung in Detmold bekannter machen, denn es war nicht nur Lemgo allein. Das, was damals geschehen ist, nämlich Diffamierung und Verfolgung, darf sich nicht wiederholen.“

10.05.2023