Paul Gerhardt in aller Munde
Pfarrer Deppermann und Kantor Geweke auf den Spuren des Lieder-Pfarrers
Deppermann und Geweke, Vorstandsmitglieder im Landesverband evangelischer Kirchenchöre in Lippe, würdigten am Donnerstag, 18. Oktober, das Werk Paul Gerhardts mit einem musikalisch-theologischen Abend in der Theologischen Bibliothek der Lippischen Landeskirche.
„Seinen tief empfundenen Glauben hat Paul Gerhardt in Liedtexten ausgedrückt, die viele Menschen noch heute berühren“, stellte Deppermann fest. Aus den Gerhardtschen Zeilen und Versen spreche eine aus persönlichem Erleben gespeiste Gefühlswelt, die man sogar noch 350 Jahre später nachempfinden könne. Der 1607 im sächsischen Gräfenhainichen als Sohn einer Pfarrerstochter und eines Krugwirts geborene Gerhardt habe in seinen Liedern eine Sprache gefunden, die seine Zeitgenossen als neu empfanden. Anders als andere geistliche Dichter jener Zeit habe Paul Gerhardt in seinen Strophen seinen Ängsten und seinen Hoffnungen sehr unmittelbar Ausdruck verliehen. Jörg Deppermann: „Aus Paul Gerhardts Versen spricht ein lyrisches Ich, wie es uns aus unserer zeitgenössischen Dichtkunst vertraut ist. Deshalb sind Paul Gerhardts Lieder auch heute noch so unvergleichlich wichtig sowohl für den evangelischen Kirchengesang wie für den evangelischen Glauben.“
Sicherlich klängen manche der von Paul Gerhardt benutzten Sprachbilder mehr als drei Jahrhunderte nach ihrer Formulierung dem Ohr heutiger Gottesdienstbesucher fremd. Zweifellos seien viele der vom dichtenden Pfarrer Gerhardt hergestellten Bezüge zur Bibel längst nicht mehr so geläufig wie im 17. Jahrhundert. Doch die aus den Texten sprechende Glaubensgewissheit habe nichts an Deutlichkeit eingebüßt. Wer sich die Zeit nehme, die Texte zu lesen, und den Mut aufbringe, sie zu singen, der werde den Liedern ihre Authentizität abspüren und überrascht sein von der durch nichts zu erschütternden Hoffnung, die sich in den Zeilen ausdrücke. Pfarrer Deppermann: „Die Menschen haben sich über Jahrhunderte hinweg die Texte ins Herz schreiben lassen und Hoffnung aus ihnen geschöpft.“
Kantor Burkhard Geweke bekräftigte aus musikalischer Sicht die Argumentation, dass sich in den Liedern ein zu jener Zeit außergewöhnliches „lyrisches Ich“ Bahn gebrochen habe. Die meisten der überlieferten 139 deutschen Liedtexte und Gedichte Paul Gerhardts seien ursprünglich für den Sologesang verfasst worden. Sie sollten der Subjektivität des Einzelnem und seinem Gefühl Ausdruck verleihen. Für diese Auslegung sprächen die Originalmelodien von Paul Gerhardts Zeitgenossen Johann Georg Ebeling und Johann Crüger, die die Gedichte zuerst vertonten.
Sich selbst am Klavier begleitend und die Besucher des Abends zum Mitsingen auffordernd, bewies Kantor Geweke anschaulich, dass nur sehr erfahrene Sänger fähig sind, Rhythmik und Tonhöhenumfang der Originalmelodien zu bewältigen. Um die Gerhardtschen Lieder für Gemeindegottesdienste zu erschließen, seien die Melodien von nachfolgenden Komponisten geglättet beziehungsweise vereinfacht worden. Auch Johann Sebastian Bach habe Paul-Gerhardt-Texte in seine Oratorien eingearbeitet.
Die Wiederentdeckung der Oratorien Bachs im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts durch den romantischen Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy ließ die Choräle Gerhardts darin neu präsent werden. Immer wieder, so Geweke, hätten sich Musikschaffende von der Ausdrucksstärke der Lieder Paul Gerhardts zu Neuinterpretationen inspirieren lassen. Jüngstes Beispiel sei die Jazz- und Soulsängerin Sarah Kaiser, die mit verjazzten Variationen zu Paul Gerhardts Liedern diese neu entdeckt und aktualisiert habe.
22.10.2007