Archiv 2005 - 2001

02.10.2002

„Wir müssten protestieren!“

Pressemitteilung: Ethische Dimensionen in der Altenpflege

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Dr. Katharina Gröning: Das gesellschaftlich propagierte Konzept des „erfolgreichen Alterns“ ist nicht aufgegangen.

Zu dem Vortrag in der Reihe „LebensFragen. Verantwortliches Handeln in bewegten Zeiten“ hatte die evangelisch-lutherische Nicolai-Gemeinde gemeinsam mit der Evangelischen Erwachsenenbildung der Lippischen Landeskirche eingeladen.
Gröning, die sich auf pädagogische Diagnose und Beratung spezialisiert hat, analysierte: „Das Konzept des ‚erfolgreichen Alterns’ ist nicht aufgegangen.“ Gesundes Leben, gesunde Ernährung, Sport, Vorbeugung – all das könne nicht ändern, dass immer mehr Menschen im Alter zu Pflegefällen werden. Eine Folge davon: „Alter ist mit Scham verbunden – das ist die verschwiegene Seite.“ Wer alt wird, stehe in der Gefahr, seine Identität zu verlieren, sofern sie durch den Körper definiert ist: Wenn sich der Körper verändert, so Gröning, verändert sich das Selbstempfinden und Selbstverständnis. Aus dem Gefühl, nicht mehr zu genügen, entstehe Scham und eventuell Aggression.
Dennoch: Trotz aller Schwierigkeiten im Umgang mit alten Menschen sei die Bereitschaft der Kinder, ihre Eltern zu Hause zu pflegen, so hoch wie nie. Aber dies sei bei allem guten Willen oft nicht möglich. Als Durchschnittsalter der Menschen, die in Altenheime eingewiesen werden, nannte die Referentin 84 Jahre – die Kinder sind dann zwischen 50 und 60, stehen selbst also noch im Beruf und können eine Schwerstpflege weder zeitlich noch körperlich leisten. Professionelle Pflege mache den Menschen jedoch zu einer Sache. Denn: „Eine Heimleitung muss nach unserem heutigen System in erster Linie ökonomisch denken. Deshalb kann sie es nicht zulassen, dass eine gut bezahlte Fachkraft ein Pläuschchen hält.“ Unter Pflegepersonal setze sich immer mehr die bittere Erkenntnis durch: Das Menschliche erledigt die Putzfrau. Pflegepersonal sei nach heutigen Verständnis dann anerkannt und gut, wenn es die Standards erfülle. Zweckfreie Kommunikation gehöre nicht dazu. Doch von Ethik in der Pflege könne man erst sprechen, „wenn man den zu Pflegenden zum Lächeln bringt.“ Hilfe und Ehrenamt würden entweder idealisiert oder als naiv belächelt. Gegen diesen Widerspruch wandte sich Katharina Gröning: „Die Sorgenden sind bisher in erster Linie die Frauen gewesen. Sie sind immer noch dazu bereit. Aber sie wollen nicht länger als die Dummen gelten. Es geht auch um Gerechtigkeit in der Fürsorge.“
In der anschließenden Diskussion unter Leitung von Dr. med. Fred Salomon, Arzt im Klinikum Lippe-Lemgo und Theologe, bezog sich Gröning auf das biblische Gleichnis vom barmherzigen Samariter. „Er erfährt Gott in dem Moment, in dem er, der Schenkende, durch das Schenken selbst zum Beschenkten wird. Die Basis dafür muss von der Heimleitung möglich gemacht werden.“ Am Schluss stand wieder ein Appell: „Das müssen wir einfordern.“

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