Archiv 2005 - 2001

20.11.2001

Plädoyer gegen Gewalt

Pressemitteilung: Nachtkonzert in St. Marien in Lemgo

Kantor Rainer Johannes Homburg hat sich an die Schwalbennest-Orgel der Kirche gesetzt. Nur er hat Licht zum Spielen, das Publikum sitzt im Dunkeln. Eine ruhige, fast unwirkliche Atmosphäre, die die Konzentration auf das Geschehen im Licht fördert. „Mein junges Leben hat ein End“ von Jan Pieterson Sweelinck ertönt in sechs Variationen. Ruhig und tröstend, aber auch laut und verstörend breitet sich die Musik mit Hilfe der sehr guten Akustik aus.
Dieser scheinbare Gegensatz von Ruhe, Zuversicht und Verstörtheit wird sich durch das ganze Konzert ziehen. Er beschränkt sich nicht nur auf die Orgelmusik, sondern zeigt sich auch in den vorgelesenen Texten und dem später gezeigten Film. Die Texte beziehen sich fast alle auf den 11.September 2001, auf den Anschlag in New York. Sie werden immer aus einer anderen Ecke der Kirche verlesen. Spärliches Licht gibt dem Publikum keine Möglichkeit sich abzulenken. Noch einmal werden sie in den Sog der Ereignisse gezogen. Kritische Texte von Stewart O’Nan und Susan Sontag beschäftigen sich mit der Rolle der amerikanischen Außenpolitik. Sie fragen nach den Hintergründen von Terrorismus und analysieren die Reaktionen von Politikern und Medien.
Der Text des Literaturnobelpreisträgers José Saramago beschreibt Auswirkungen von Hass und Gewalt, wenn Menschen zerrissen, geköpft, ermordet werden. Er schildert die menschliche Brutalität und nennt es kriminell und absurd, wenn von den Tätern immer wieder der Name Gottes als Rechtfertigung für ihre Morde herangezogen wird.
Der Film „Schwarzfahrer“ von Pepe Dankwart zeigt die latente Gewalt unserer Gesellschaft gegen Ausländer – und die originelle und wirkungsvolle Reaktion eines Betroffenen darauf.
Dazwischen immer wieder Musik, diesmal von der großen Orgel auf der Westempore: Stücke und Improvisationen, die die Atmosphäre unterstreichen. Zum Schluss beenden Texte von Johannes Rau, Wolfgang Huber und Dietrich Bonhoeffer das eindrucksvolle Plädoyer gegen Gewalt.
Als das Licht wieder angeht und noch zu Wein und Brot geladen wird, braucht das Publikum eine Weile, um wieder aus der Stimmung des Nachtkonzertes herauszufinden. Klang, Text, Raum stand auf der Einladung. Der Klang der Orgel, die vorgetragenen Texte und das große Kirchenschiff von St. Marien – sie bildeten hier eine Einheit. Ein interessanter Abend mit spannendem Konzept. Nennen wir es ruhig „Performance“, auch wenn das in diesem Zusammenhang vielleicht nicht ganz trifft.

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