Deutscher Arzt am Hindukusch

Dr. Reinhard Erös berichtete über die „Kinderhilfe Afghanistan“

Landessuperintendent Dr. Martin Dutzmann (rechts) dankte Dr. Reinhard Erös für dessen anschaulichen Vortrag.

Kreis Lippe/Detmold. „Nur durch Bildung der Bevölkerung können wir dem radikalen Fundamentalismus in Afghanistan die Grundlage entziehen.“ Für den ehemaligen Militärarzt Dr. Reinhard Erös ist der Einsatz der internationalen Schutztruppe für Afghanistan (ISAF) kein taugliches Mittel, um das Land nachhaltig zu befrieden, auf dessen Staatsgebiet seit 30 Jahren wechselnde Konfliktparteien kämpfen. Über seinen Einsatz für den Frieden am Hindukusch berichtete Dr. Erös auf Einladung der Lippischen Landeskirche am Buß- und Bettag (Mittwoch, 18. November) in der Christuskirche Detmold.

Erös war vor seiner Ruhestandsversetzung im Jahr 2002 Oberstarzt bei der Bundeswehr. 1998 gründete er zusammen mit seiner Familie die ausschließlich durch private Spenden finanzierte „Kinderhilfe Afghanistan“, um afghanischen Kindern und Frauen in Dörfern an der Grenze zu Pakistan mit medizinischen und schulischen Einrichtungen eine friedliche und auskömmliche Zukunft zu ermöglichen. Seit dem Ende des Taliban-Regimes im Jahr 2001 habe er verschiedene Hilfsprojekte (Mutter-Kind-Kliniken, Waisenhäuser) gestartet und beim Bau mehrerer Schulen geholfen, berichtete Dr. Erös. Und zwar nicht geschützt in der Hauptstadt Kabul, sondern in den Ostprovinzen. Dort sei Afghanistan noch ein „mittelalterlicher Staat“. Erös: „Das Mittelalter muss man von unten entfernen: durch Bildung.“
Die von der „Kinderhilfe Afghanistan“ finanzierten Schulen, Werkstätten und Krankenstationen seien ausschließlich von Afghanen errichtet worden und würden nur von Einheimischen betrieben. In neun Computer-Schulen würden mehr als 1000 Mädchen und Jungen in den Umgang mit moderner PC-Technik eingewiesen. Dank gespendeter Nähmaschinen könne man Mädchen Schneiderinnen-Lehrgänge anbieten. Jungen werde im Fach Metallverarbeitung beigebracht, Solarkocher herzustellen und gespendete Photovoltaikanlagen zu installieren. Reinhard Erös: „Wir bringen die Solarzellen in die Dörfer ohne Stromversorgung, dazu Glühlampen und ein kleines Radio, damit die Menschen nicht nur das hören, was der Mullah ihnen am Freitag erzählt. Das ist Bildung statt Fundamentalismus.“
Der deutsche Arzt am Hindukusch erläuterte, dass die von der „Kinderhilfe Afghanistan“ unterstützten Schulen von Taliban-Angriffen verschont blieben, weil die örtlichen Bürgermeister ihn gebeten hätten, sich für den Schulbau einzusetzen. Deshalb verständen die Menschen die Einrichtungen als ihre Schulen. Dr. Erös: „Wer einen Konflikt gewinnen will, muss die Bevölkerung gewinnen.“
Mit scharfen Worten kritisierte der ehemalige Oberstarzt die nahezu ausschließliche Konzentration des Westens auf das Militär. „Wenn ich mir die Gelder für den zivilen Aufbau anschaue, die zum Beispiel das deutsche Entwicklungshilfeministerium nach Afghanistan transferiert hat, dann stelle ich fest, dass etwa zwei Drittel davon nirgends angekommen sind, außer in den Taschen korrupter Politiker.“ Es sei erwiesen, dass von den im Jahr 2006 zur Verfügung gestellten 80 Mio. Euro nur 24 Mio. Euro den Ort ihrer ursprünglichen Bestimmung erreicht hätten. Der Westen habe mit seiner Überheblichkeit und fehlenden Wertschätzung des Landes und seiner Menschen die Korruption erst erzeugt. Erös: „Wir behandeln die Afghanen wie die Kinder.“ Er selbst bemühe sich, bei seiner Hilfe einen Grundsatz von Mutter Teresa nie zu vergessen: „Erst wenn du die Menschen liebst, kannst du ihnen helfen.“
Landessuperintendent Dr. Martin Dutzmann dankte dem Referenten für den anschaulichen und zum Nachdenken anregenden Vortrag. Er sei eine hervorragende Ergänzung und auch Berichtigung der offiziellen Berichterstattung über ein Land, das zwar täglich in den Nachrichten erwähnt werde, über das man aber dennoch wenig wisse.

20.11.2009