Fürchtet euch nicht!
Landessuperintendent Dietmar Arends: „Einmischen und Standpunkte beziehen!“
Kreis Lippe/Augustdorf. „Fürchtet euch nicht! - mutig – stark – beherzt in herausfordernden Zeiten“ ist der Bericht überschrieben, den Landessuperintendent Dietmar Arends der Lippischen Landessynode vorgelegt hat. Darin setzt er sich unter anderem mit kirchlichen, politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen auseinander.
Fürchtet euch nicht, mehrfach komme diese Aufforderung in der Bibel vor. Besonders einprägsam in der Weihnachtsgeschichte: „Das „Fürchte dich nicht“ wird laut in einer Welt, die auch damals nicht selten zum Fürchten war“, stellt Dietmar Arends fest: „Es erklingt hinein in die Zeit, die geprägt war durch die Besatzung der Römer, durch Ausbeutung und Unterdrückung.“ Auch heute, in einer multiplen Krisensituation, herrsche Verunsicherung und Angst. „Und manchmal müssen wir erleben, wie Angst auch bewusst geschürt und politisch missbraucht wird, wie gegenwärtig in der Asyldebatte,“ kritisiert Arends.
Verschärfende Krisensituationen in der Kirche
„Die sexualisierte Gewalt in der evangelischen Kirche stellt eine bleibende Erschütterung dar und wir müssen einen Weg finden, wie wir damit angemessen umgehen, soweit das überhaupt möglich ist. Im Blick auf die Zukunft unserer Kirche merken wir, dass bisherige Konzepte nicht mehr tragen, und wir sind dabei, neue Wege zu suchen und hoffentlich auch zu finden. Von manchem Gewohnten und Liebgewonnenen müssen wir Abschied nehmen. Die Austrittszahlen bewegen sich auf einem bleibend hohen Niveau. Die finanzielle Situation unserer Kirche hat sich deutlich verschärft. Einschnitte werden nötig.“ Fachkräftemangel und manches andere komme hinzu. Gleichzeitig stehe die Kirche vor großen Herausforderungen, zum Beispiel im Blick auf den Klimaschutz. Jedoch: „Auch uns als Kirche wird dieses „Fürchtet euch nicht!“ zugesprochen und mit auf den Weg gegeben. Es er-mutigt uns im wahrsten Sinn des Wortes, unseren Weg als Kirche in dieser Gesellschaft zu suchen und uns gestärkt auf den Weg zu machen und ihn beherzt zu gehen. Es ermutigt uns, einen tragfähigen Weg für uns als Kirche für die Zukunft zu suchen, den Krisen, die wir erleben, nicht entmutigt und resignierend gegenüberzustehen, sondern uns tatkräftig einzumischen, Standpunkte zu beziehen und „beherzt anzupacken“. So haben es die Initiatoren des Deutschen Evangelischen Kirchentages im nächsten Jahr bei der Präsentation des Mottos formuliert. Der Kirchentag kommt wieder einmal in unsere Nähe nach Hannover und steht unter dem Motto "Mutig - stark - beherzt", das wir für diesen Bericht entliehen haben.“
Migration, Flucht und Menschenrechte
„Gab es schon zuvor Regelungsverschärfungen auf Bundes- und auf europäischer Ebene, so hat sich nach dem schrecklichen terroristischen Anschlag in Solingen am 23. August dieses Jahres der gesellschaftliche Diskurs noch einmal deutlich verschärft. In der alltäglichen Praxis unserer diakonischen Beratungsstellen, aber auch im Kontext der Gemeindearbeit mit geflüchteten Menschen wird deutlich, wie verunsichernd die Rede von der „illegalen oder irregulären Migration“ für den betroffen Personenkreis ist.“ So gut wie jede geflüchtete Person habe auf die eine oder andere Weise irregulär einreisen müssen, was aber im Einklang mit internationalem Recht im Augenblick des Schutzersuchens „geheilt“ sei. Verschiedene restriktive Maßnahmen seien inzwischen beschlossen, andere würden diskutiert. Einiges sei kaum mit dem Grundgesetz und grundlegenden völkerrechtlichen Verpflichtungen zu vereinbaren. Dies betreffe etwa die beschlossene Reduzierung bis auf null von Leistungen für Menschen mit einem ablehnenden Dublin-Bescheid. Arends: „Zudem ist es ja geradezu eine absurde Vorstellung, Geflüchtete ohne Unterstützung und einem Dach über dem Kopf würden unser Land sicherer machen. Illegal wären aber auch pauschale Zurückweisungen von Schutzsuchenden an den Außengrenzen, die immer wieder in der Diskussion gefordert wurden. Auch die geplanten Kürzungen im Landeshaushalt bei der Beratung von Geflüchteten machen uns große Sorgen und werden absolut kontraproduktiv für die Integration sein.“
Die Einführung der Bezahlkarte für geflüchtete Menschen sehe die Lippische Landeskirche durchaus kritisch. Dadurch würden den Betroffenen zum Beispiel Einkäufe erschwert oder auch, den eigenen Rechtsanwalt im Asylverfahren zu bezahlen. Dietmar Arends: „Wir bitten die lippischen Städte und Gemeinden, mögliche Optionen, die Bezahlkarte nicht einzuführen, zu wählen“.
Insgesamt bleibe festzuhalten, so Arends: „Es wird immer mehr deutlich, dass die Kirche einer der nicht mehr so vielen Akteure ist, die neben Engagierten aus der Zivilgesellschaft für die Rechte von geflüchteten Menschen einsteht.“
Erstarken rechter Parteien
Das Erstarken von Parteien, die der extremen Rechten zugeordnet werden müssen, sei ebenfalls dazu angetan, Furcht zu wecken. Die Wahlerfolge der AfD bei den Landtagswahlen im September in Thüringen, Sachsen und Brandenburg seien erschreckend. Dies ordne sich ein in einen weltweiten Trend auch in Demokratien hin zu autoritären Ansätzen und Personen und damit zu einer Gefährdung von freiheitlicher Demokratie und der Orientierung an den Menschenrechten. „Als Landeskirche gilt es hier, wie andere Landeskirchen und katholische Bistümer auch, eine klare öffentliche Position einzunehmen. Im Blick müssen hierbei vor allem die Menschen sein, die Ziel von antisemitischer, rassistischer und anderer gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit sind oder weiter werden können, auch Geflüchtete, Personen of Colour, queere Menschen und Menschen mit Behinderung. Die Positionierung ist insbesondere auch im Blick auf kirchliche Ämter und Funktionen notwendig.“
Engagement für die Schwachen
In den diakonischen Handlungsfeldern stünden die Lippische Landeskirche sowie die diakonischen Träger vor massiven Herausforderungen. Aufgrund finanzieller Kürzungen und Streichungen von Fördermitteln und ganzer Programme auf Bundes-, Landes- sowie auf kommunaler Ebene gebe es eine große Spannung zwischen steigendem Bedarf und Angebot. Die diakonischen Träger seien personell und strukturell in der Lage, dem Bedarf zu begegnen, aber mit zurückgehenden Fördergeldern bzw. fehlenden Anpassungen an die Lohnkostensteigerungen wüchsen die Eigenanteile der diakonischen Träger, die sie kaum tragen könnten. Die nicht selten auch populistisch geführten Debatten über den Bundeshaushalt machten den leistungsbeziehenden Menschen teilweise schwer zu schaffen. Dietmar Arends: „Sie werden im öffentlichen Diskurs immer wieder als leistungsunwillige Gesellschaftsgruppe stigmatisiert.“ Dies gelte für alle Leistungsbeziehenden, besonders aber auch für Menschen mit Migrationshintergrund. Dabei hätten die Menschen allermeist sehr individuelle und legitime Gründe für ihren Leistungsbezug. Sicher gebe es auch Missbrauch in diesem Feld. Dies zu verallgemeinern, sei allerdings völlig unsachgemäß: „Als Kirche haben wir hier einen klaren Auftrag, für die benannten Zielgruppen mit Nachdruck einzutreten.“
Weitere Infos zur Lippischen Landeskirche:
Rund 131.000 Gemeindeglieder
65 reformierte und lutherische Gemeinden (54 ref., 10 luth., 1 ev.*)
4 reformierte und 1 lutherische Klasse
57 Synodale
Weitere Infos u.a. zu Struktur und Finanzen:
www.lippische-landeskirche.de/transparenz
* Lockhausen-Ahmsen ist eine evangelische Kirchengemeinde mit Mitgliedschaft in der reformierten Klasse West und in der Lutherischen Klasse.
Die Verhandlungen der Lippischen Landessynode am 25. und 26. November können über www.lippische-landeskirche.de mitverfolgt werden.
Hier geht es zum vollständigen Bericht des Landeskirchenrates
25.11.2024