Dr. Rainer Lucht, Referent für Grundsatzfragen der Diakonie Katastrophenhilfe.

Nothilfe für alle Opfer

Diakonie Katastrophenhilfe kein Instrument der Politik

Kreis Lippe/Detmold. „Die Diakonie Katastrophenhilfe steht einer zivil-militärischen Zusammenarbeit sehr zurückhaltend bis ablehnend gegenüber.“ Für Dr. Rainer Lucht von der Diakonie Katastrophenhilfe, der humanitären Hilfsorganisation des Diakonischen Werks, darf Humanhilfe bei Bürgerkriegen oder Naturkatastrophen nicht von den politischen und religiösen Einstellungen der Opfer abhängig gemacht werden.

Lucht, Referent für Grundsatzfragen der Diakonie Katastrophenhilfe, erläuterte und bewertete während eines Vortragsabends am Montag, 5. November, in Detmold aus Sicht seiner Hilfsorganisation die von der Bundeswehr und anderen westlichen Armeen vor gut einem Jahrzehnt entwickelte Konfliktbewältigungsstrategie der „zivil-militärischen Zusammenarbeit“.

Insbesondere während des Bürgerkriegs im zerfallenden Jugoslawien hätten die Bundeswehr und die anderen dort involvierten westlichen Armeen die für sie neue Strategie einer Kooperation mit zivilen Hilfsorganisationen entwickelt. Ziel dieser Vorgehensweise sei gewesen, durch Hilfe beim Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur (Straßen, Schulen, Krankenhäuser, Nachrichtenwesen) die Akzeptanz der in Bosnien und im Kosovo stationierten Truppen zu verbessern, um sie vor Anschlägen zu schützen.

In diesem Zusammenhang habe die Bundesregierung auch deutsche zivile Hilfsorganisationen gefragt, ob sie beim Wiederaufbau helfen könnten, berichtete Rainer Lucht. Die Antwort sei unterschiedlich ausgefallen. Während manche Nichtregierungsorganisationen, die stark abhängig von staatlichen Finanzzuweisungen seien, eingewilligt hätten, hätten sich das Rote Kreuz und die Diakonie Katastrophenhilfe stark zurückhaltend bis ablehnend verhaltend. Die diakonische Katastrophenhilfe sei um Unterstützung bei der Rückführung von in Deutschland lebenden Bürgerkriegsflüchtlingen gebeten worden. Das sei abgelehnt worden. Lucht: „Die Flüchtlinge lebten in Deutschland in Sicherheit, während in Bosnien und auf dem Kosovo die Sicherheitslage nicht klar war. Nach unserer Einschätzung sollte die Rückkehr der Flüchtlinge eine innerdeutsche Debatte beantworten. Weil das keine humanitäre Hilfe gewesen wäre, haben wir uns nicht einspannen lassen.“ Während der Kriege im ehemaligen Jugoslawien habe die Diakonie Katastrophenhilfe auf dem Balkan mit Unterstützung lokaler Partner an vielen Orten geholfen, und zwar dort, wo nach eigenem Urteil Überlebenshilfe notwendig gewesen sei. Das sei etwas ganz anderes, als sich in die Strategie militärischer Einsätze und politischer Ordnungswünsche integrieren zu lassen.

Auch wenn die Bundesregierung immer wieder betone, so Lucht, dass Bundeswehrauslandseinsätze dem Friedenserhalt und nicht der Friedenserzwingung dienten, sei zu fragen, ob die lokale Bevölkerung diese Sichtweise teile. Eine humanitäre Hilfsorganisationen verspiele ihre Glaubwürdigkeit, wenn sie von der örtlichen Bevölkerung als ziviler Arm einer Protektoratsarmee verstanden würde. Nicht zuletzt aus diesem Grund, aber auch aus Sicherheitserwägungen, sei die Diakonie Katastrophenhilfe zur Zeit in Afghanistan nicht tätig. Bis zum Kriegsbeginn in Afghanistan im November 2001 habe man sich dort in Nothilfeprojekten engagiert, obwohl das Taliban-Regime diese Arbeit sehr erschwert habe.

Es sei zu vermuten, prognostizierte Rainer Lucht, dass die Europäische Union, die NATO-Mitgliedsländer und mit diesen befreundete Staaten die Strategie der zivil-militärischen Zusammenarbeit ausbauen würden. Die EU beschäftige sich mit einem Projekt, eine aus 10.000 Soldaten und 5.000 Zivilisten bestehende Krisenreaktionstruppe zum Einsatz bei Regionalkonflikten und in zerfallenden Staaten aufzubauen. Im Krisenfall würde diese Einsatzgruppe EU-Interessen vertreten und unter sicherheitspolitischen Gesichtspunkten eingesetzt werden, sagte Lucht. Er sei sehr skeptisch, ob diese Art der Krisenintervention mit dem Neutralitätsgrundsatz der Diakonie Katastrophenhilfe vereinbar sei: „Wir leisten keine Hilfe, weil es politisch opportun ist. Wir haben uns verpflichtet, dort zu helfen, wo Menschen Not leiden, die sie aus eigener Kraft nicht bewältigen können.“

07.11.2007